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Viele Jahre lang waren Kleinwagen das Vehikel meiner Wahl. Mit Opel Corsa B (BJ 2000) und VW Polo (BJ 2013) war ich immer recht zufrieden. Den Polo fahre ich auch heute noch gern 🙂 Für Frau und Kind gab es aus Gründen von Sicherheit und Komfort aber vor einigen Monaten einen nagelneuen Nissan Qashqai Tekna. Leider muss ich mir jetzt häufig anhören, ich trüge zur Schädigung der Umwelt und zur Platznot in der Stadt bei. Ganz zu schweigen von den Unfallfolgen, wenn meine Frau mal einen Kleinwagen oder Radfahrer umlegen sollte… Der Größenvergleich zwischen Polo und Qashqai hatte mich bereits nach dem Kauf stutzig gemacht (nur ca. 40cm in der Länge und 10cm in der Breite). Als ich jedoch festgestellt habe, dass ein 1er BMW (abgesehen von der Höhe) die gleichen Maße wie unser Qashqai aufweist, wusste ich: Es ist Zeit für eine objektive Untersuchung 😀
Verwendete Daten
Am aufwändigsten bei einer objektiven Analyse ist aus meiner Sicht die korrekte Auswahl der Daten. Als Basis diente mir die Zulassungsstatistik des Kraftfahrt-Bundesamtes für die Jahre 2013 und 2014 nach PKW-Segmenten; schließlich hört man ja immer vom besorgniserregenden Trend hin zum SUV. Innerhalb der Segmente sind jeweils die Modelle aufgeführt, welche 2014 ca. 50% der Neuzulassungen innerhalb des entsprechenden Segmentes ausgemacht haben. Damit erhalten wir ein repräsentatives Bild der Neuzulassungen. Außerdem habe ich den Bestand laut Kraftfahrt-Bundesamt zum 1.1.2015 aufgeführt, sodass wir die Segmente nicht nur hinsichtlich der Neuzulassungen vergleichen können. Da ich nicht hauptberuflicher Blogger bin, musste ich bei der weiteren Beschaffung ein paar Abstriche machen: Die Fahrzeugparameter der einzelnen Modelle habe ich von Wikipedia bezogen. Die cw-Werte entspringen den diversen Online-Quellen.
Alles in allem erachte ich die Datengrundlage als sehr belastbar. Natürlich ist die Modellauswahl nicht repräsentativ für den Bestand – das werde ich aber in der weiteren Analyse auch berücksichtigen. So ähnlich verhält es sich bei den angegebenen Fahrzeugparametern: Ich habe immer das im Jahr 2014 aktuelle Modell in die Datensammlung aufgenommen; bei Modellwechseln in den Jahren 2013/14 ist das ältere Modell daher nicht berücksichtigt.
Ihr könnt meine Daten hier als PDF herunterladen.
Definition eines SUV
Das Kraftfahrt-Bundesamt unterscheidet ziemlich deutlich zwischen SUV und Geländewagen. Alle geländegängigen Fahrzeuge, welche keine Zulassung als M1G bekommen, laufen unter „SUV“. SUVs sind damit per Definition und von Amtswegen her nicht primär für das Gelände gedacht. Da viele Menschen aber beispielsweise einen Audi Q7 als SUV sehen, werde ich jeweils beide Gruppen berücksichtigen.
„SUVs sind riesig“
Ein Vorurteil stimmt natürlich: Sie sind etwas höher. Die Modellauswahl in den Daten legt den Schluss nahe, dass SUVs und Geländewagen in der Masse zwischen einer Höhe von ca. 1,60 und 1,70 schwanken und damit bis zu 30cm höher sind als die Kompaktklasse. In der Kompaktklasse sind wir nämlich bei ca. 1,40-1,45 und in der normalen und oberen Mittelklasse sowie Oberklasse bei 1,42-1,50. Nur die Vans (1,60-1,70), Utilities (1,80 bis >2m) und natürlich die Wohnwagen spielen in einer höheren Liga. Aber zusammen machen diese immerhin auch 13,5% des Gesamtbestandes aus; also doppelt so viel wie SUVs und Geländewagen zusammen.
Die Daten zeigen außerdem, dass SUVs und Geländewagen eine größere Grundfläche (also Länge und Breite) aufweisen als Fahrzeuge der Segmente Minis und Kleinwagen, welche 22,6% der Neuzulassungen 2014 und 26,5% des Bestandes zum 1.1.2015 ausmachten. Das Gros der SUVs und Geländewagen ist hinsichtlich Länge und Breite jedoch vergleichbar mit der Kompaktklasse! Verkaufsschlager wie der Opel Mokka (4,28 x 1,77) oder auch ein BMW X1 (4,44 x 1,82) fügen sich gut zwischen den Werten von VW Golf (4,26-4,56 x 1,80) und Skoda Octavia (ca. 4,66 x 1,81) ein. Die Geländewagen sind im Schnitt lediglich 3-4cm breiter.
Leider entgeht vielen Leuten, wieviel kleiner SUVs und Geländewagen im Vergleich zu Fahrzeugen verschiedener anderer Segmente sind. Modelle aus den Segmenten Mittelklasse (z. B. VW Passat, Mercedes-Benz C-Klasse), obere Mittelklasse (z. B. Audi A6, 5er BMW), Oberklasse (Mercedes-Benz S-Klasse, Audi A6) und Großraum-Vans (z. B. VW Touran, Opel Zafira) nehmen sehr viel mehr Platz in Anspruch. Selbst wenn wir die Gruppen der Wohnmobile und der Utilities (beispielsweise VW T5, VW Caddy) an dieser Stelle ignorieren, sind 22,3% der Neuzulassungen bedeutend größer als SUVs und Geländewagen. Übertragen wir diese Verteilung als Näherung auf den Bestand, erhalten wir mindestens 26,8% deutlich platzhungrigerer Fahrzeuge, während SUVs und Geländewagen 2014 zusammen(!) übrigens nur lächerliche 7,2% ausmachten.
So gigantische Ausmaße, wie sie ihnen oft unterstellt werden, haben SUVs und Geländewagen also nicht.
„Durch den Trend zum SUV wird der Platz in den Städten immer knapper“
Gehen wir ganz sachlich heran – den Trend gibt es nämlich wirklich. Während 2013 8,3% der Neuzulassungen auf das Konto der SUVs ging, waren es 2014 bereits 9,8%. Auch bei den Geländewagen gab es einen Anstieg von 7,4% auf 7,6%. Doch woher kommen die plötzlich alle?
In den Daten können wir die Veränderung der Neuzulassungen je Segment genau verfolgen. Der Saldo prozentualer Neuzulassungen unter den Minis, Klein- und Kompaktwagen ist nahe Null – innerhalb dieser Segmente kam es lediglich zu Umverteilungen. Ganz anders sieht die Welt aus, wenn wir in Richtung Mittelklasse, obere Mittelklasse, Sportwagen und Mini-Vans sowie Utilities blicken. Hier sind die Zahlen der Neuzulassungen zurückgegangen. Diese Anteile gehen dafür zwischen SUVs, Geländewagen, Oberklasse und Großraum-Vans auf, wobei SUVs am stärksten profitieren.
Und die Schlussfolgerung? SUVs und Geländewagen sind nicht das Problem sondern Teil der Lösung! Wie ich weiter oben schrieb, sind ja die Wagen der Mittelklasse (insbesondere der oberen Mittelklasse) und Vans in der Regel eine ganze Nummer größer als ein SUV oder Geländewagen. Indem SUVs ihnen Anteile abringen, wird der ansteigende Platzbedarf in Städten gehemmt. Es bleibt zu hoffen, dass sich dieser Trend fortsetzt!
„SUVs verpesten die Umwelt“
Dieses Vorurteil hat sich durch permanentes Wiesderholen in den Medien ebenfalls eingeschliffen. Dabei wäre es ja nicht falsch, Gleiches auch über Minis und Kleinwagen zu behaupten.
Fakt is natürlich, dass der cw-Wert von SUVs und Geländewagen schlechter ausfällt als der cw-Wert von Autos anderer Segmente. Wenngleich der cw-Wert von Minis scheinbar auch oft alles andere als gut ist, so fällt dieser Nachteil durch die kleine Stirnfläche nicht ins Gewicht. Bei SUVs und Geländewagen mit ihrer großen Stirnfläche schlägt sich dieser Nachteil jedoch bei höheren Geschwindigkeiten (ab ca. 60km/h) im Verbrauch nieder. Und selbstverständlich beginnen die Leergewichte auch erst dort, wo in der Kompaktklasse schon fast Schluss ist. In Kombination mit oftmals breiten Reifen fällt also auch der Rollwiderstand höher aus.
Aber ist das Beweis genug für die Sünde an der Umwelt? Trotz der etwas dünnen Datenlage würde ich unterschreiben, dass SUVs und Geländewagen einen tendenziell höheren Verbrauch aufweisen als andere Fahrzeuge. Dass sie damit allerdings die großen Sünder sind, lässt sich hieraus nicht schließen. Man kann auch mit einem Phaeton problemlos 10l Diesel auf 100km verbraten und ein Polo mit einer Fahrleistung von 20.000km/Jahr stößt mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr Schadstoffe aus als ein Qashqai, der nur 5.000km/Jahr läuft. Neben der Laufleistung kommt es insbesondere in der Stadt sehr auf den Fahrstil an: Beschleunige ich immer stark, um noch stärker abzubremsen? Lasse ich an der Ampel den Motor laufen? Verschwinde ich immer um 16:00 von Arbeit, um dann schön Stop-and-Go im Berufsverkehr zu spielen? Nehme ich Staus in Kauf oder wähle ich vorausschauend Alternativrouten?
In unserer Familie wird es in den nächsten Jahren nur einen Fahrer geben, welcher den Vorwurf der Umweltsünde mit reinem Gewissen von sich weisen kann. Das Bobby-Car ist wohl aber auch der einzige Serienwagen weltweit, welcher im Betrieb vollkommen klimaneutral ist 😀
„SUVs gefährden die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer“
Beginnen wir – wie immer – bei der nüchternen Statistik. Martin Pöppel-Decker und Ingeborg Vorndran haben über das Statistische Bundesamt zur Frage „Welche Rolle spielt das Fahrzeug bei einem Verkehrsunfall?“ publiziert. Unter anderem liefern sie eine Aufstellung der Verkehrstoten und Schwerverletzten geordnet nach Hauptverursachern. Es stellt sich heraus, dass die Zahl der Unfallopfer beim Verursacher mit größeren Fahrzeugen (ausgenommen Wohnmobile) abnimmt, während die Zahl der Unfallopfer auf Gegnerseite recht konstant zwischen 100 und gut 120 Toten und Schwerverletzten pro 1000 Hauptverursacherfahrzeugen lag. Minis und Kleinwagen rangieren erwartungsgemäß bei knapp über 100. Sportwagen, Wohnmobile, Mini- und Großraum-Vans, Oberklasse und natürlich auch SUVs und Geländewagen nahmen sich mit ca. 120 nicht viel. Ich sehe hier keinen Beweis dafür, dass ausgerechnet SUVs in überragendem Maße gefährlich für andere Verkehrsteilnehmer sind.
Die Autoren stellten interessanterweise fest, dass Fahrzeuge aus dem Segment der Minis im Jahr 2013 überproportional häufig in Unfälle mit Personenschäden verwickelt waren, obwohl beispielsweise Mittelklassewagen eine deutlich höhere Laufleistung aufweisen dürften. Mit 97 pro 1000 Fahrzeugen im Bestand waren Minis fast 50% häufiger als SUVs und Geländewagen involviert!
Fazit
Nach der Theorie von Stanley Cohen brauchen die Menschen etwas, worüber sie sich aufregen können. Ihnen ist ein gewisser Argwohn angeboren, der befriedigt werden muss. Die Medien liefern dann fleißig – und zementieren dieser Tage die Meinung über den SUV. Bei genauer Betrachtung sind SUVs und Geländewagen aber gar nicht so schlimm wie ihr Ruf. Sie bewegen sich (anders als oft behauptet) größentechnisch im Rahmen des Üblichen. Außerdem bieten sie Schutz ohne andere übermäßig zu gefährden. Vor allem in Städten stellen SUVs eine soziale Alternative zur Mittel- und Oberklasse sowie Vans dar. Ich persönlich bin über das – zum Teil sehr deutliche – Ergebnis selbst überrascht!
Nachtrag 2023: Heute würde ich unter ökologischen und sozialen Gesichtspunkten die Rolle der PKW im Allgemeinen anders bewerten. Im Angesicht der globalen Erwärmung sollte jeder Mensch die Rolle der individuellen Mobilität für sich reflektieren und bewusst machen, dass diese im globalen Maßstab ein Treiber der Klimakrise sowie von jedem einzelnen Menschen beeinflussbar ist. Fahrt Bahn statt Auto.
16. Juli 2015 at 10:44
Unser Hausmeister sagt immer, wenn er durch die Tiefgarage unserer Wohnanlage geht, dass SUV nur „Stark Unterentwickelter Verstand“ bedeuten kann…